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Offener Brief an den Berliner Innensenator Andreas Geisel

Sehr geehrter Herr Innensenator Geisel,

 

wir, die UnterzeichnerInnen dieses Briefes, möchten uns heute mit folgendem Anliegen an Sie wenden:

 

Aus vielen Gesprächen mit SyrerInnen wissen wir, dass Berliner Behörden Geflüchtete aus Syrien regelmäßig dazu auffordern, ihre Reisepässe bei der syrischen Botschaft in Berlin zu erneuern. Die Passpflicht hält Ausländer dazu an, gültige Personaldokumente zu besitzen, bzw. aktiv an ihrer Beschaffung mitzuwirken. Bis April 2018 waren syrische Geflüchtete aus Gründen der Unzumutbarkeit noch davon ausgenommen, die Botschaft ihres Heimatlandes aufsuchen zu müssen. Ihnen stellte die Berliner Ausländerbehörde in der Regel einen Passersatz aus.

 

Seit Mai 2018 wird in Berlin bei SyrerInnen mit subsidiärem Schutzstatus pauschal eine Zumutbarkeit der Passbeschaffung vorausgesetzt, sodass sie in jedem Einzelfall nachweisen müssen, dass eine Vorsprache bei der syrischen Botschaft für sie unzumutbar ist. Diese Änderung in der Verfahrenspraxis halten wir für falsch. Denn:

  • Ganz unabhängig vom Aufenthaltstitel halten wir eine Vorsprache bei der syrischen Botschaft vor allem für Menschen, die vor dem syrischen Regime geflüchtet sind, grundsätzlich für unzumutbar. Über Jahre verweigerte das Assad Regime einem bedeutenden Anteil der syrischen Bevölkerung jegliche konsularische Leistungen. Erst seit 2015 werden in größerem Umfang wieder Reisepässe ausgestellt. Dieser Vor­gang be­inhaltet eine Überprüfung der Antragsteller durch den repressiven Sicherheitsapparat in Da­maskus. Alle persönlichen Angaben werden in Datenbanken über Oppositionelle, ihre Angehörigen und ihr Eigentum in Syrien gespeichert. Viele Geflüchtete haben gute Gründe, dem Assad Regime nicht mitzuteilen, wo sie sich aufhalten - auch aus Sorge um in Syrien verbliebene Angehörige. Mit der Aufforderung, den Reisepass zu erneuern, werden ihre persönlichen Daten zwangsläufig aufgedeckt.
  • Eine Vorsprache bei der syrischen Botschaft in Berlin zur Erneuerung von Reisepässen halten wir aus finanziellen Gründen für nicht hinnehmbar. Die Antragsgebühren betragen zwischen 255 € und 680 € pro Person. Da die ca. 750.000 SyrerInnen in Deutschland überwiegend Leistungen nach dem SGB II beziehen, ist davon auszugehen, dass vor allem öffentliche Mittel indirekt zur Finanzierung des Assad Regimes aufgewendet werden. Wenn die ca. 400.000 SyrerInnen mit subsidiärem Schutzstatus ihren Pass erneuern müssen, kann das Regime mit Einnahmen in dreistelliger Millionenhöhe rechnen. Die syrische Botschaft in Berlin stellt somit eine der wichtigsten Devisenquellen des Regimes überhaupt dar.
  • Die Durchsetzung der Passpflicht bei syrischen Geflüchteten halten wir aufgrund des Geschäftsgebarens der syrischen Botschaft für falsch. Zahlungen werden dort in bar getätigt: Quittungen, Antragsbestätigungen oder schriftliche Ablehnungen existieren nicht. Zahlreiche SyrerInnen berichten von erniedrigender Behandlung und langen Bearbeitungszeiten, wobei häufig erst nach Leistung informeller Zahlungen ein Reisepass ausgestellt wird. Nach diesem Muster werden die konsularischen Hoheitsrechte der Botschaft als Druck­mittel gegen politische Gegner eingesetzt. Dieses Geschäftsgebaren wurde bereits hinreichend dokumentiert (beigefügt).
  • Die Durchsetzung der Passpflicht bei syrischen Geflüchteten finden wir politisch falsch und moralisch verwerflich. Denn sie legitimiert ein Regime, welches bereits 2012 von über 120 Staaten als illegitim eingestuft und entsprechend sanktioniert wurde. Dutzende UN-Berichte belegen zweifelsfrei, dass sich das Assad Regime der schwersten Verbrechen gegen die syrische Zivilbevölkerung schuldig gemacht hat - eine absichtliche und grausame Kriegsführung. Dieses Regime in Berlin indirekt mit hohen Geldmengen auszustatten, untergräbt den Sinn von wirtschaftlichen Sanktionen und politischem Druck gegenüber dem syrischen Staat.
  • Die Durchsetzung der Passpflicht bei syrischen Geflüchteten halten wir ferner in Hinblick auf persönliche Lebensumstände für falsch. Einerseits befürchten viele SyrerInnen, durch ein Vorsprechen in der Botschaft ihre Angehörigen oder ihr Eigentum in Syrien zu gefährden. Andererseits berichten uns SyrerInnen, dass sich Ausländerbehörden in Berlin regelmäßig weigern, schriftliche Stellungnahmen als Nachweis einer Unzumutbarkeit zur Kenntnis zu nehmen. Vielmehr bekommen SyrerInnen ohne einen Reisepass häufig Schwierigkeiten, z.B. bei der Aufenthaltsverlängerung, Geburtsanzeige oder Beantragung von Leistungen zum Lebensunterhalt.
  • Wir empfinden die Durchsetzung der Passpflicht bei syrischen Geflüchteten als Verstoß gegen die Menschenwürde. Die aktuelle Verfahrenspraxis führt dazu, dass auch syrische Opfer von Folter, Vergewaltigung und anderer Gewalt sich dem Regime unterstellen müssen, das für ebendiese Verbrechen verantwortlich ist. Der Zwang, dieses Regime noch finanzieren zu müssen, ist für zahlreiche SyrerInnen entwürdigend und verfehlt den Schutzgedanken der Genfer Flüchtlingskonvention. Es erschüttert zudem ihren Glauben an den deutschen Rechtsstaat und den Gerechtigkeitssinn deutscher Behörden.   

Aus diesen Gründen wenden wir uns mit heutigem Schreiben an Sie und fordern:

  • Bitte setzen Sie die bis April 2018 bestehende Verfahrenspraxis wieder in Kraft, nach der auch Geflüchtete mit subsidiärem Schutzstatus einen Reisepass für Ausländer als Passersatz erhalten.

Wir freuen uns über eine Rückmeldung Ihrerseits und stehen für Rückfragen und ein klärendes Gespräch zur Verfügung.

 

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

 

UNTERZEICHNENDE Organisationen und Initiativen:

  • 4syrebellion 
  • Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine e.V.   
  • Union der Syrischen Studenten und Akademiker e.V.
  • Deutsch-Syrische Ärztegesellschaft für humanitäre Hilfe e.V.
  • Syrian Center for Legal Studies and Research e.V.
  • Moabit Hilft e.V.
  • adopt a revolution
  • attac Berlin
  • KommMit - für Migranten und Flüchtlinge e.V.
  • Be An Angel e.V.

Hintergrund:

Auf Druck des Bundesinnenministeriums hatte die Berliner Ausländerbehörde im Mai 2018 die Verfahrenspraxis bei der Vergabe von Ausweisersatzpapieren an Geflüchtete aus Syrien geändert. Grundsätzlich sind alle Ausländer, die sich in Deutschland aufhalten, dazu verpflichtet, im Besitz eines gültigen Passes zu sein. Syrische Reisepässe haben aber nur eine Gültigkeit von wenigen Jahren. Für die regelmäßige Erneuerung verlangt der syrische Staat mehrere hundert Euro an Gebühren. Damit finanziert das syrische Regime vor allem auch den Krieg gegen die eigene Bevölkerung und seinen Unterdrückungsapparat. Syrerinnen und Syrer, die vor dem Regime von Baschar al-Assad geflohen sind und in Deutschland Schutz suchen, wollen und können deshalb aus nachvollziehbaren Gründen die Botschaft des syrischen Staates nicht aufsuchen.

 

Bis Mai 2018 ist die Berliner Ausländerbehörde bei Geflüchteten aus Syrien pauschal davon ausgegangen, dass es unzumutbar ist, die syrische Botschaft in Berlin für die Neuausstellung von Personaldokumenten aufzusuchen. Sie hat an alle Geflüchtete bei Bedarf einen "Reisepass für Ausländer" als Ersatzdokument ausgestellt. Seit Mai 2018 gilt dieses nur noch für Geflüchtete, die als AsylbewerberInnen oder Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sind. Geflüchtete, die "nur" einen subsidiären Schutzstatus haben, müssen nun jeweils individuell nachweisen, dass in ihrem Falls ein Besuch der syrischen Botschaft unzumutbar ist. 

 

In der Praxis führt dieses zu zahlreichen Problemen: Oft erkennt die Ausländerbehörde schriftliche Stellungnahmen zur Begründung der Unzumutbarkeit nicht an. Ohne einen "Reiseausweis für Ausländer" als Identitätsnachweis folgen weitere Probleme bei anderen Behörden, z.B. bei der Beantragung von Leistungen zum Lebensunterhalt beim Jobcenter. Ein Skandal ist diese Neuregelung vor allem auch deshalb, weil trotz internationaler Sanktionen gegen den syrischen Staat Steuergelder aus Deutschland nach Damaskus fließen, wenn Geflüchtete aus Syrien, die Leistungen vom Jobcenter erhalten, dem Druck nachgeben und die Reisepässe bei der syrischen Botschaft bezahlen. 

Kontakt

Moabit hilft e.V.

Turmstr. 21

Haus R

10559 Berlin

 

Fon +49 30 35057538

info@moabit-hilft.com

[ Erreichbarkeit / Öffnungszeiten ]

 

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Diana Henniges +49 160 964 80003

diana@moabit-hilft.com

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